DER ORTSTEIL UM DIE ALTE SCHULE
Der Bereich rund um die alte Schule, die heutige Klostergasse und am Ober Tor, zählt als ehemaliger Klosterbezirk zu den ältesten Teilen von Walsdorf. Städtebaulich betrachtet ,wurde bereits Ende des 17. Jahrhunderts eine ganz moderne Verkehrserschließung erstellt. So bilden alle Straßenzüge im alten Ortskern untereinander einen Ringverkehr. Dies ist das gleiche Konzept wie es heute in Stuttgart praktiziert wird. Doch die Fragen des Verkehrs sollen bei unserer Betrachtung nur am Rande erwähnt bleiben.
Vor ca. 30 Jahren hießen die Straßen rund um die alte Schule noch Obergasse und Schulgasse. Sie bildeten zu jener Zeit das Zentrum von Walsdorf. Neben der Schule befand sich das Rathaus mit allen Verwaltungseinrichtungen, die notwendig waren, um die Gemeinde zu verwalten. Zudem gab es eine Vielzahl von Einrichtungen aus dem Dienstleistungsbereich. Es gab Angebote der reinen Dienstleistung, wie die öffentliche Viehwaage und solche, die zum Bereich Handel und Handwerk gehörten. Da war die Spar- und Darlehnskasse Walsdorf, die auch gleichzeitig den Bezug und Absatz von Landprodukten, Düngemittel, Kohlen und Brikett betrieb. Es konnten die Dienste einer Schloßerei und die eines Friseurs und eines Sattlers in Anspruch genommen werden. Die täglichen Bedürfnisse des Lebens stellten eine Bäckerei, ein Kolonialwarenladen und eine Metzgerei sicher. Alle diese Angebote werden unter dem heutigen Begriff Infrastruktur zusammengefaßt. Und wenn ein Walsdorfer den Ausdruck gebrauchte „Ich muß in’s Ort“, so wollte er in diesen Bereich von Walsdorf, um die dortigen Angebote zu nutzen. In diesem Zusammenhang fällt mir noch eine Walsdorfer Redewendung ein; so sagte niemand „Ich gehe ins Rathaus“, sondern „Ich gehe auf die Bürgermeisterei“.
Vor ca. 30 Jahren gab es in den beiden Straßenzügen 23 Wohngebäude mit den entsprechenden Nebengebäuden. Heute ist die Zahl der Wohngebäude auf 28 angewachsen, bedingt durch Neubau und Umbau von Scheunen in Wohngebäude.
Die Bevölkerungsstruktur bestand damals aus 12 landwirtschaftlichen Betrieben, den bereits erwähnten Handwerks- und Handelsbetrieben und, bedingt durch den 2. Weltkrieg, aus einigen Rentnern.
Durch die enge Bebauung und das enge Zusammenleben der Bewohner hat sich über lange Zeiträume ein soziales Verhalten gebildet, zu dem gegenseitiges Verständnis sowie ein ausgeprägter Sinn für Nachbarschaftshilfe gehören. Diese Eigenschaften haben sich bis heute erhalten.
Wandel in diesem Wohnbereich
Doch die Obergasse und Schulgasse blieben von einem gewissen Wandel nicht verschont. Dieser beginnt mit der Flurbereinigung in den Jahren 1958 – 65 und hat zur Folge, daß durch Aussiedlung, Umzüge und Betriebsaufgabe in der Landwirtschaft die Bevölkerung in diesem Ortsteil abnimmt. Hinzu kommt, daß die Mehrzahl der Bewohner bereits sehr alt ist. Die Zahl der leerstehenden Gebäude steigt schnell an, und allgemeine Befürchtung der Überalterung macht sich breit. Dieser Trend des Niedergangs der Zentrumsfunktion setzt sich fort mit dem Verlust der örtlichen Verwaltung nach der Eingliederung Walsdorfs 1971 in die Stadt Idstein und dem Weggang der Schule 1974. Der Wandel von Strukturen und Gewohnheiten trägt sein übriges dazu bei; so entstehen Einkaufszentren und Supermärkte, zu denen die ansässigen Unternehmen in Konkurrenz treten mußten. Diesem wirtschaftlichen Druck waren sie auf Dauer nicht gewachsen, so daß heute keines der Unternehmen mehr besteht.
Ganz allmählich veränderten sich die beiden Straßen, die nach der Eingliederung jetzt Am Obertor und Klostergasse heißen, wieder. Die frei gewordenen Gebäude wurden von jüngeren Leuten erworben. Es entstanden Um- und Neubauten. Dazu ist preiswerter Wohnraum vorhanden, der wiederum jüngere Leute in diesen Teil des Dorfes ziehen läßt. Die Stadt Idstein hat auch ihren Teil beigetragen durch die Verabschiedung des Bebauungsplans. Dieser weist die Erhöhung der Geschoßflächenzahlen aus, der somit die Umwidmung von Scheunen in Wohngebäude zuläßt. Die allgemeine Wohnqualität wurde noch gesteigert durch gelungene Fassadenrenovierungen und die Neugestaltung des Klosterplatzes. Auch tragen die Walsdorfer Vereine mit dem Gassenfest und dem Markt am Klosterplatz zur Belebung der beiden Straßen bei.
Ein Wermutstropfen ist noch das alte Schulhaus, wo noch nicht ganz klar ist, was dort einmal geschehen soll. Die Bewohner der heutigen Straßen rund um die alte Schule setzen sich aus Handwerkern, Angestellten und im natürlichen Rhythmus aus Rentnern zusammen. Von den ehemals 12 landwirtschaftlichen Betrieben ist nur noch ein Teilzeitbetrieb übrig geblieben. Am sozialen Verhalten der heutigen Bewohner gegenüber dem vor 30 Jahren hat sich nichts geändert, und mit einem Durchschnittsalter von ca. 37 Jahren sind wieder gesunde und normale Verhältnisse in diesem Ortsteil vorhanden.
Gerhard Müller
EINE STEINBRÜCKE ÜBER DEN EMSBACH UNTERHALB DES ORTES
Im Sommer 1838 stand der Gemeindevorstand von Walsdorf vor der Notwendigkeit, Ersatz für den verfallenen Steg über den Emsbach am Fußpfad vom Untertor zur „Chaussee nach Camberg“ zu schaffen. Die Gemeinde wollte hauptsächlich aus Sparsamkeitsgründen den Steg einfach erneuern. Das Herzogliche Amt aber schlug vor, an Stelle des Steges eine steinerne Brücke über den Emsbach zu bauen, weil bei den zur Zeit teuren Holzpreisen ein Steg im Verhältnis zu einer steinernen Brücke sehr kostspielig wäre und man zugleich einen kürzeren Fahrweg in den Camberger Grund erhielte.
Das Projekt erfreute sich im Dorf keiner Beliebtheit. Das geht deutlich aus einem Bericht des Oberschultheißen Ochs an das Herzogliche Amt in Idstein vom S. Juni 1838 hervor. Dort schrieb er im Zusammenhang mit der geplanten Vergabe der Arbeiten und der Erinnerung daran, daß das Herzogliche Amt „hinsichtlich des Durchstichs der Emsbach noch besondere Rücksprache mit dem Vorstand nehmen wolle..: Es wird übrigens schwerfallen den ganzen Ortsvorstand zur Zustimmung des Durchstichs zu bewegen ja es wird sogar gegen die Erbauung der Brücke protestiert. Privatinteresse und verkehrte Ansichten mögen die Hauptursache sein. Auch gibt es hier Leute, selbst unter dem Ortsvorstand, welche sich oft bei mir über irgend eine Sache nicht, oder doch wenigstens nicht widersprechend äußern, hernach aber, bei sonstigen Zusammenkünften ihre Mißbilligung äußern, wo sie sich dann nur suchen geltend zu machen, hernach schweigen sie und lassen dann die Schreihälse auftreten. Ich habe deshalb von einem Weg, welchen der Herr Amtswerkmeister von dem Ort über diese Brücke projektiert und aufgezeichnet hat, dem Ortsvorstand noch nichts gesagt, weil ich die Überzeugung habe, der Antrag würde doch bei der Berathung in den Schmieden oder Wirtshäusern durchfallen.“
Der Oberschultheiß, der offensichtlich dem Projekt grundsätzlich positiv gegenüberstand, glaubte aufgrund der Kenntnisse „seiner Pappenheimer“ wohl, in dieser Sache so taktieren zu müssen. Wieweit er in Einzelheiten auch Vorbehalte gegen die Planungen hatte, läßt sich aus dem folgenden Schriftverkehr mit dem Amt und der Herzoglichen Landesregierung nicht eindeutig erschließen, weil er sich nicht mehr so eindeutig von der Position des Vorstandes oder Teile von ihm absetzte.
Meinungsverschiedenheiten über den Standort der Brücke
In der Frage Steg oder Brücke hätte es der Ortsvorstand zwar der großen Kosten halber lieber gesehen, „daß statt einer steinernen eine hölzerne Brücke an diese Ort gestellt worden wäre, so haben wir, gewohnt, unseren Vorgesetzten als gehorsame Unterthanen zu folgen, es aber nachgegeben, daß eine steinerne Brücke gebaut werde.“ Schwierigkeiten gab es aber, als Amtswerkmeister Rübsamen den Standort der Brücke abstecken und die erforderliche Wegführung festlegen sollte. Er schlug vor, im Blick auf eine in nicht allzuferner Zukunft notwendige Bachregulierung die Brücke ein Stück vom Emsbach weg in Richtung Dorf zu bauen und dann das Bachbett entsprechend zu verlegen. (Vergl. Plan 1) Man könne dann im Trockenen billiger bauen und auch dem geplanten Fahrweg von 16 Schuh Breite die gewünschte Richtung geben.
Da Rübsamen „die Absteckung gegen alle Meinungen und Widersprüche des sämtlichen Vorstands und Gerichtspersonals“ (also des Feldgerichts) vornehmen mußte, bat er in seinem Bericht an das Amt darum, die Absteckung nochmals durch einen geeigneten Sachkenner prüfen zu lassen. Das geschah durch den Bauaccesisten Wolf, der sich uneingeschränkt den Vorschlägen Rübsamens anschloß. Auch Baurat Wolf von der Herzoglichen Landesregierung befürwortete diese Planung und schrieb in einem Gutachten vom 10. September 1838: „Man baut eine Brücke nicht dahin .. wohin sie der Ortsvorstand verlangt, am wenigsten in eine Krümmung des Baches, … weil sie bei einer Regulierung des Emsbaches in dasiger Gemarkung höchst unpassend gefunden werden dürfte … Dem Ortsvorstand ist es nicht zu verargen, wenn er seine Vorschläge so ökonomisch wie möglich macht … Bei dem Bau einer Brücke sollte man aber nicht bloß ökonomische, sondern auch die Rücksichten gelten lassen, die eine solche Anlage mit Recht verlangen kann.“
Nach dieser Argumentation sollte also der in die Zukunft weisende Gesichtspunkt der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse Vorrang vor der sparsamen Haushaltspolitik haben.
Als dieser Plan über den Standort der Brücke und die Verlegung und den Ausbau des Weges vom Flecken zur Chaussee vom Oberschultheißen dem Ortsvorstand am 22.9.1838 mit der Aufforderung vorgelegt wurde, „seine Ansicht offen und unverholen, aber auch ohne Privatinteresse auszusprechen, … erklärte derselbe einstimmig, daß er bei der bei Herzoglichen Amte abgegebenen Erklärung verbleibe, wonach die Brücke an dem Ort, wo jetzt der Steg liege, gebaut werden möge …‘
Die Hauptgründe für die Ablehnung der vorgelegten Planung waren, daß der Ortsvorstand keinen Bedarf für die Verbreitung des Weges vom Untertor zur Chaussee sah, weil ein „von Seiner Herzoglichen Durchlaucht Höchselbst bestimmter Communikationsweg zwischen der Stadt Idstein und dem Camberger Grund“ schon da sei, die Kosten für den Ankauf des Bodens für den Durchstich zu hoch seien und schließlich die Kräfte der Gemeinde, „welche ohnehin alles auf der so lästigen Frohnde thut“ durch das Projekt in dieser Form überfordert würden. Die Brücke würde ja doch nur von den hiesigen Einwohnern benutzt, „die Heu und Grummet, das früher ins Ort getragen werden mußte, aus den Wiesen unterm Ort nach der Chaussee und von da obenherum (die sog. Zahlgasse gab es als Verbindungsweg noch nicht) nach dem Ort fahren wollen.“ Außerdem könne der Weg vom Untertor über die Brücke ohnehin nur mit leeren Karren oder Pflügen vom und ins untere Feld befahren werden. Dafür würde es ausreichen, wenn der vor einigen Jahren neu angelegte Fußpfad etwas verbreitert würde.
Auch Amtmann Halbey von Idstein hielt nichts von dem Plan und sprach sich in seinem Bericht vom 28. September 1838 „in Übereinstimmung mit der Gemeinde“ dafür aus, die Brücke etwas oberhalb des seitherigen Stegs zu bauen. Er schrieb: „Die Liebhaberei der Techniker an dem Durchstich kann hier gar nicht berücksichtigt werden, sondern allein der Umstand, wie man sowohl von dem jetzt bestehenden Fußpfad als auch dem in Beratung gegangenen und damals von dem Vorstand noch nicht angenommenen, später aber gewiß ausgeführt werdenden Weg B am bequemsten auf die Brücke gelangt.“
Trotz der Ablehnung des Planes durch den Gemeindevorstand und den Amtmann, entschied die Landesregierung am 25. Oktober 1838, „daß die fragliche Brücke auf die vom dem Bauaccesisten Wolf vorgeschlagene und von dem Herrn Baurath Wolf als zweckmäßig erkannte Stelle D der Zeichnung erbaut und hiernach erforderliche Durchstich C ausgeführt werde.“
(Schluß folgt)
Helmuth Leichtfuß
JUDEN IN WALSDORF
Als Mitte April 1680 der Walsdorfer Schultheiß Johann Andreas Hirthes in Idstein den obersten Finanzbeamten seines Grafen, den Kammerschreiber Müller, traf, war er über dessen Mitteilung gar nicht erfreut; ein ebenfalls anwesender Jude sollte gemäß Beschuß der Regierung in Zukunft in Walsdorf wohnen. Das war nach dem Ende des 30jährigen Krieges noch nicht der Fall gewesen. (Ob es vor 1648 in Walsdorf Juden gab, ist noch herauszufinden).
Gegen diesen Plan gab es sofort aus zwei Richtungen Opposition. Die Camberger Juden versuchten, mit Geld Schultheiß Hirthes zu bewegen, die Aufnahme zu verhindern. Da auch in Esch und Idstein noch keine Juden wohnten, wollten sie sich ihre Geschäfte in diesem Teil der Grafschaft Idstein nicht stören lassen. Wahrscheinlich erhielten noch weitere Leute Geld. Etliche Walsdorfer rieten nämlich vier Wochen später der Regierung, keine genaue Untersuchung vornehmen zu lassen: „Es würde noch ein mehreres herauskommen“.
Walsdorfs Widerstand kam aus verschiedenen Quellen. Zum einen lag der Freiflecken zu dieser Zeit in einem ernsthaften Streit mit der Regierung, weil sie versuchte, Walsdorfs Rechte aus dem Freiheitsbrief von 1393 einzuschränken. Dazu gehörte in diesem Falle das Recht, selber über die Aufnahme von Bürgern entscheiden zu dürfen. Der Jude hatte sich aber im Flecken ein Haus gemietet, wozu er nur die herrschaftliche Genehmigung hatte.
In dieser Zeit, wo jede Gemeinde für ihre Armen selber aufkommen mußte, war es nur natürlich, wenn sie darauf achtete, daß neue Mitglieder auch das nötige Kapital für den Lebensunterhalt besaßen. Daher bestand der Schultheiß darauf, daß nur ein Jude „von ziemlichen Vermögen, welcher dem armen, dürftigen Mann bis zur Ernte oder Herbstzeit etwas vorstrekken könnte“, aufgenommen werden sollte. Hier schien es sich wohl um einen ärmeren, nicht immer zahlungsfähigen Mann zu handeln. Als Kompromiß schlug Hirthes der Regierung einen Handel vor. Walsdorf wollte das von jedem Juden jährlich zu zahlende Schutzgeld von 20 Gulden bezahlen („Bei den vielen hundert Gulden, die wir jährlich zahlen, macht das nichts aus.“), und der Jude sollte fortbleiben. Als Hirthes kurze Zeit später seinen zukünftigen Nachbarn in Wiesbaden im Gasthaus „Zum Einhorn“ traf, erklärte er ihm: „Mit meinem Willen kommst du nicht nach Walsdorf hinein, solange ich Schultheiß bin.“ Er führte solche Reden darüber, daß „er in diesem Stück der Obrigkeit Befehl nicht parieren dürfte, daß sich Juden und Christen darüber verwunderten.“
Nach anfänglicher Unterstützung durch die Gemeinde stand er mit dieser starren Haltung schnell alleine da. Er wurde von der Regierung zu 75 Gulden Strafe zahlbar innerhalb 8 Tagen verurteilt, weil diese „Widersetzlichkeit und Aufwiegelung“ Teil einer längeren Kette war. (1) Sollte er sich nicht ändern, wurde mit Amtsenthebung gedroht. (2) Falls dieser namenlose Jude jemals das bereits gemietete Haus in Walsdorf bezog, dann war es nur für kurze Zeit.
Mayer aus Camberg
Die folgenden Monate zeigen, daß von einem speziellen Judenhaß nicht die Rede sein kann. Für die Walsdorfer hatten ihre Selbstverwaltungsrechte, für die Camberger Juden Geschäftsinteressen auf dem Spiel gestanden.
Gegen Ende dieses Jahres 1680 gelang es nämlich einem Camberger Juden, in Walsdorf Fuß zu fassen. Als nachgeborener Sohn gab es für den jungen Mayer in seinem Heimatort keine Chance zu heiraten, da die Zahl der jüdischen Familien beschränkt wurde. Hier gab es bereits etwa sechs. In Walsdorf genügte er den schon genannten Ansprüchen hinsichtlich Besitz, so daß er als Schutzjude aufgenommen wurde.
Damit hatte er den höchsten Rechtsstatus erreicht, der für einen Juden damals möglich war. Er durfte nun heiraten (wozu auch Christen bis vor 120 Jahren eine obrigkeitliche Genehmigung brauchten) und ein Geschäft betreiben. Da ihm aber der Erwerb von Ackerland und die Mitgliedschaft in einer Handwerkerzunft verwehrt waren, konnte er sich nur als Händler betätigen. In Walsdorf war Mayer als Viehhändler mit Pferden und Kühen tätig. Vielleicht handelte er auch mit Waren.
Walsdorfs Einwohnerschaft war damals viergeteilt. An der Spitze standen die Bürger, die für ihre Aufnahme 20 Gulden gezahlt hatten und danach neben den Rechten als Vollbürger auch verschiedene Pflichten hatten (Steuern, Dienstleistungen). Auf der nächsten Stufe standen die Beisassen, die wegen ihres geringen Besitzes mit ihren Familien nicht voll in die Gemeinde aufgenommen wurden. Die Hirten gehörten z.B. zu ihnen. Sie zahlten jährlich einige Gulden Beisassengeld. Besitz und guter Ruf waren entscheidend für die Aufnahme in eine dieser beiden Gruppen.
Von diesen Gesichtspunkten ließ sich die Obrigkeit auch leiten, wenn sie in ihrer Herrschaft Juden aufnahm. Sie mußten jährlich 20 Gulden in die Staatskasse und in jedem Ort ein besonderes Judenbeisassengeld bezahlen. In Walsdorf betrug es im 17. Jahrhundert 1 2/3 Gulden, lag also unter dem Betrag für christliche Beisassen. Insgesamt hatten die Juden zwar mehr Abgaben zu zahlen, waren dafür aber von den verschiedenen Ämtern und Aufgaben in der Gemeinde befreit. Zwar bedeutete das einerseits eine Erleichterung, war aber andererseits Ausdruck einer erheblichen sozialen und politischen Diskriminierung. Dazu kam, daß die Juden keinen Anteil am sog. „Gemeindenutzen“ hatten, z.B. an Gemeindewald und -weide.
Als vierte Gruppe sind alle die Christen und Juden zu nennen, denen die Aufnahme als Bürger oder Beisasse und damit die Gründung einer eigenen Familie und eines eigenen Betriebes verwehrt wurde. Sie lebten entweder bei ihrer Verwandtschaft oder suchten woanders ihr Glück. Zu Letzteren gehörte auch der junge Mayer, der aus Camberg nach Walsdorf kam.
Nur kurz, bis zum 15. Mai 1682, blieb er hier. Dann durfte er nach Idstein ziehen, wo es bis dahin keine Juden gegeben hatte und wo er als Geschäftsmann am Sitz der Regierung mehr Chancen sah. Der Umzug erfolgte wohl auch wegen seines Knechtes Aberle, der für Idstein einen Schutzbrief erhielt. Da jüngere Brüder oft als Knechte in der Familie ihr Auskommen fanden und Mayer mit Aberle in Idstein eine gemeinsame Wohnung hatte, waren sie wahrscheinlich Geschwister.
Mayer war der Ahnherr von weiteren neun Generationen in Idstein, zu deren letzten Vertretern Felix Lahnstein und Familie gehörten. Vor 50 Jahren kam das Ende dieser langen Tradition.
Die verwandtschaftliche Zuordnung von Juden ist oft recht schwierig, da sie nur einen Eigennamen führten, wie wir es aus der Bibel kennen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde es in unserer Gegend üblich, den Namen des Vaters anzuhängen. Da aber der Namensschatz bei Juden wie bei Christen damals recht begrenzt war, hilft diese Angabe oft auch nicht weiter.
Erhalten geblieben ist von diesen Einwohnern Waldorfs nur ihre Unterschrift in hebräischer Kursive. Die folgende Abbildung ist in Originalgröße und lautet Mair/Meir von Walzdroif. Meir ist ein hebräischer Eigenname. Unser Ort hieß damals auch Walsdrof/Walstrof. Das eigenartige -i- findet sich auch in anderen Unterschriften dieser Zeit und könnte auf eine sonst nicht belegte ältere Namensform unseres Ortes hinweisen.
Löw oder Joseph
Sofort nach Mayers Fortzug kam ein neuer Schutzjude nach Walsdorf und blieb hier 5 Jahre bis Mitte 1687. Zu dieser Zeit starb er entweder, oder er verließ die Grafschaft Idstein. Mit seinem Namen bereitet er uns einiges Kopfzerbrechen. Während die Kammerrechnungen in Idstein ihn gewöhnlich Löw nennen, heißt er in Walsdorfs Gemeinderechnungen gleichzeitig meistens Joseph. Als Unterschrift (hier in Originalgröße) ist beides zu finden.
Lew von Walztroif (1682) Josef Jud (1683)
Nur 6 Jahre hatten Juden nach dem 30jährigen Krieg in Walsdorf gewohnt. Für fast 5 Jahrzehnte blieb es dann wieder ohne Juden, bis 1733 Salm nach Walsdorf zog und dort 40 Jahre bis zu seinem Tode wohnte. (3)
Anm.:
(1) Vgl. G. Buck,
(2) HStRW 133 XIVb,4. Gerichtsbuch. Zu Mayer: ebd. R 57-62, 220-225.
Walsdorfs Freiheitsrechte S. 59f.
(3) GA Walsdorf: Gemeinderechnungen, HStAW 131 R 56-57, 219-220. Zu Löw:
(Forts. folgt)
Gerhard Buck
ÜBRIGENS — WER KENNT NOCH MI SU AUSDRICK
trummen, Trumm
Bei der Arbeit mit der „Hubing von dem Klosterguth dahier zu Walsdorf“ aus dem Jahre 1757 bin ich häufig auf einen Ausdruck gestoßen wie z.B. „Ein Acker in der Gewann obig dem Baumstück drumbt mit Jacob Kilian“. Mir war noch in Erinnerung, daß man damit das unmittelbare Aufeinanderstoßen von zwei Grundstücken bezeichnete, die durch keinen Weg getrennt waren. Woher das Wort kam und ob es noch mit bekannteren Wörtern zusammenhängt, war mir nicht klar.
Meine Nachforschungen im Grimmschen Wörterbuch haben ergeben, daß daß es sich um ein altes germanisches Wort handelt. Im Alt- und Mittelhochdeutschen erscheint es als „drum“ und hat die Bedeutung: Endstück, Ende, aber auch Teilstück, das von einem größeren Ganzen abgetrennt ist. Seit dem 15. Jahrhundert erscheint es im Anlaut auch mit t; im 16. Jahrhundert gewinnt diese Schreibweise die Überhand. Im 16. und 17. Jahrhundert erscheint es auch in der Form von trumb, also mit b als Auslaut.
Am geläufigsten ist das Wort Trumm sicher noch in der Bedeutung eines dicken, ungespaltenen Endstückes eines Baumstammes, das mit der sog. Trummsäge abgesägt worden war und z.B. als Hackklotz benutzt wurde. Bekannt und gebräuchlich ist es auch in der Wendung wie „ein Trumm Stück Fleisch“ oder ein „Trumm Mannsbild“, wobei man jedesmal auf die Größe und Stärke abzielt. Nach der Flurbereinigung gibt es meines Wissens keine Äcker mehr, die „drumben“, und so geht mit der Sache auch das Wort verloren, wie in vielen anderen Fällen auch.
Quelle:
Grimmsches Wörterbuch, Bd. 22, Sp 1336 1343
Helmuth Leichtfuß
Verantwortlich:
Gerhard Buck