Bürgerbrief 46: September 1989     

Die Europawahlen vom 18.06.1989

Bei der 3. Wahl zum Europa-Parlament war wiederum das Interesse sehr gering. Weniger Bürger als bei anderen Wahlen gingen zur Urne, und bei der Auszählung am Abend war der Wahlvorstand fast unter sich. Die sonst erscheinenden Bürger und politisch Aktiven blieben zu Hause. Für Walsdorf ist positiv zu vermerken, daß wir dieses Jahr die beste Beteiligung von allen drei Wahlen hatten.

 Wahlber.WählerSPDCDUFDPGrüneRep.Sonst.ung.
19791.02157,6%46,0%44,6%6,5%1,8%————1,1%
19841.06252,4%42,9%42,3%5,9%5,4%——-3,3%0,2%
19891.11958,6%37,4%34,5%5,6%11,4%8,1%2,0%0,9%
1989 
Kreis 60,7%36,3%35,5%6,3%10,3%8,1% 
Stadt  34,9%35,4%6,3%12,0%8,1% 

Zu den einzelnen Parteien läßt sich, auch unter Heranziehung der Kommunalwahl am 12.03.1989, folgendes sagen:

SPD: Mit 5,5% verstärkte sich der Rückgang der SPD-Wähler, was im Gegensatz zur Kommunalwahl steht. Bei ihr mußte die Partei nur leichte Einbußen verzeichnen.

CDU: Sie verlor erheblich: minus 7,5%. In der Kreistagswahl, bei der es ein vergleichbares Angebot an Parteien gab, fiel sie mit 34% ähnlich tief.

FDP: Ihr Anteil ging weiter geringfügig zurück, lag aber etwas über dem bei der Kommunalwahl.
Grüne: Sie konnten ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln. Der schon bei den Kommunalwahlen zu beobachtende Anstieg in Walsdorf (Ortsbeirat 13,1 %) wurde bestätigt.

Rep.: Bei ihrer ersten Kandidatur, der Wahl zum Kreistag, stimmten 55 für diese neue Partei, bei der Europawahl 53. Wegen verschiedener Wahlbeteiligung waren das im März 6,5%, im Juni 8,1 %.
Sonstige: ÖDP 1, DVU 10, FAP 1, Bewußtsein 1, Patrioten 1 Stimme(n). Ungültig: 6 Stimmen
(Bericht über die vorhergehende Wahl im Bürgerbrief 26)

Gerhard Buck

Unser Wald

Einen interessanten Einblick in unterschiedliche Aspekte der gegenwärtigen Forstwirtschaft konnten die etwa 70 Teilnehmer/-innen der Waldbegehung des „Bürgervereins“ am 21.05.89 gewinnen. Unte rder fachkundigen Leitung des Revierförsters, Herrn Bördner aus Wörsdorf, gab es zahlreiche Informationen über die ökonomische Bedeutung und den ökologischen Zustand des „Bürgerwaldes“.

Der Gemeindewald der Stadt Idstein umfaßt insgesamt 3.800 ha – aufgeteilt in 2/3 Laub- und 1/3 Nadelwald. Am häufigsten vertreten sind Eiche und Buche bzw. Fichte und Kiefer.

Pro Jahr und Hektar werden ca. 4 Festmeter (fm) Holz eingeschlagen. Dabei wird besonderes Augenmerk auf „Naturverjüngung“ gelegt: Sukzessive Lichtung und Nachlichtung statt „Kahlschlag“-Wirtschaft! Unterstützt wird diese erosionvermeidende und die natürliche Widerstandskraft des Waldes fördernde Bearbeitung durch Bodenauflockerung, sogenanntes „Grubbern“. Der gesamte Verjüngungszeitraum erstreckt sich über einen Zeitraum von 20-40 Jahren.

Ein System sogenannter „Rückegassen“ trägt ebenfalls zu einer Verminderung von Bodenschäden und unnötigen Baumverlusten bei: Diese Gassen dienen dem Abtransport gefällter Bäume. Diese werden zuvor in eine der Gassen hineingezogen. In einem Jungbestand wird etwa alle 30m eine Rückegasse angelegt – in einem Altbestand alle 60m. Weggeräumt werden die Bäume dabei vom Inneren der Zwischenräume nach außen zu den Gassen hin. So soll die Verjüngung nicht gefährdet werden.
Die Methode der „Naturverjüngung“ ist über die ökologische Bedeutung hinaus auch erheblich kostensparender als die „Kahlschlag“-Wirtschaft: 400 bis 1000 DM statt 20.000 DM pro ha!
Die Einhaltung der obigen Richtlinien eines naturschonenden Vorgehens wird durch die Revierförster Idsteins genau überwacht. Auch wird seit ca. 10 Jahren auf den Einsatz chemischer Mittel zur Insektenbekämpfung verzichtet.

Grundsätzlich gilt die Regel: Die richtige Baumart auf den ihr angemessenen Boden, d.h. es werden schon seit geraumer Zeit nicht mehr aus kurzsichtigen ökonomischen Gründen schnell wachsende Nadelgehölze (z.B. Fichten) auf trockene Böden gesetzt. In Verbindung mit dem o.e. Mischbestand und den dichten Waldrändern trug dies mit dazu bei, daß der „Bürgerwald „verhältnismäßig wenig unter den Folgen von Emissionsschäden zu leiden hat. Natürlich spielt hierbei auch die Tatsache eine Rolle, daß der „Bürgerwald“ nicht in Kammlage liegt. Jedenfalls gab es hier kaum Windwurfschäden.

Auf Nachfrage von Teilnehmern wies Herr Bördner darauf hin, daß der befestigte Waldwegebau zur Holzabfuhr weitgehend abgeschlossen sei und das Fällen des alten Baumbestandes am Waldrand oberhalb des Emstals durch die „Hiebsreife“ der Bäume (ca. 180 Jahre) und die erreichte Widerstandstkraft des dahinter wachsenden Jungebestandes notwendig und vertretbar war.
Abschließend noch eine keineswegs bedeutungslose Information: Die Stadt Idstein hat, bezogen auf ihren Wald, noch nie „rote Zahlen“ geschrieben!

Im kommenden Jahre erhofft sich der „Bürgerverein“ bei seiner geplanten Feldbegehung ebenso detaillierte Informationen und zahlreiche Beteiligung der Walsdorfer/ -innen.

Dieter Sieb

Warum Schlaguhr und Nachtwächtersignal?

Als der letzte Bürgerbrief fertiggestellt war, fiel mir ein Widerspruch zwischen diesen beiden Artikeln auf. Ich erinnerte mich an zwei Fragen, die mir schon in meiner Jugend gekommen und bisher ohne Antwort geblieben waren. Warum wollten die Leute früher eigentlich nachts stündlich vom Nachtwächter geweckt werden, statt durchzuschlafen? Warum wollten sie zusätzlich zum Schlagen einer Turmuhr auch noch das Signal des Nachtwächters hören? Mir reichten die Glocken meiner kleinen Heimatstadt: von drei Türmen gab es jede Viertel- bzw. Halbestunde Schläge, auf fünf anderen wurde tagsüber zu bestimmten Stunden geläutet.

Die Lösung dieser Fragen fand ich jetzt in der Nachtwächter-Ordnung für das hessische Amt Hohenstein (rund um Bad Schwalbach) von 1724: „Und damit Greben und Vorsteher wissen, ob die Wächter munter und wachsam bleiben, folglich ihr Amt, wie sichs gebührt, verrichten, so sollen dieselben die Stunden ordentlich, nämlich im Sommer abends von 10 bis morgens 2, im Winter aber abends von 8 bis morgens 4 abblasen, jede Stunde an des Greben Haus ein Zeichen von den Wächtern gegeben.“

Falls die Nachtwächter wirklich stündlich anzeigten, daß sie wach waren, dann war der Ortsvorsteher nur zu bedauern.

Quelle:
HStAW 300 IIa,40

Gerhard Buck

Die Reparatur der Kirchturmuhr im Jahre 1786

Die Kirchturmuhr, die die Gemeinde 1651 für 13 f von einem Idsteiner Uhrmacher wieder instand hatte setzen lassen, war 100 Jahre später wieder in einem schlechten Zustand. Als Lehrer Georg Philipp Dhaum 1757 in Walsdorf seinen Dienst antrat, hatte er neben seinem Lehrberuf auch den Organisten- und Küsterdienst zu versehen und war auch für die Kirchenuhr verantwortlich. „Als mir dieselbe … zum erstenmal gezeigt und überreicht wurde, fand ich solche stille stehen,“ berichtet er an das Amt in Idstein. Von Anfang an hatte er seine liebe Not mit der Uhr. An manchen Tagen habe er fünf- bis sechsmal nachsehen und dem Schlagwerk oder dem Getriebe forthelfen müssen, berichtet er. Daß es unter solchen Umständen nicht möglich sei, sich nachts nach dem Glockenschlag zu richten, tags richtig zu läuten und Kirche und Schule darnach zu richten, verstehe sich von selbst.

Bei aller Last mit der Uhr müsse er sich zudem vom Herrn Schultheißen (Johann Philipp Ochs, Schultheiß von 1783 bis 1805) „bei öffentlicher Gemeinde anschreien und verleumden lassen“, daß er die Uhr nicht schmiere, sondern die 6 Batzen, die er bekäme, nur in den Sack stecke.

Er erklärt sich nicht nur bereit, jemandem, der ihm diese Arbeit abnehme, alljährlich 3 Batzen zuzulegen, sondern er sucht darum nach, daß ein verständiger und unparteiischer Mann die Uhr begutachten und sie in einen brauchbaren Zustand gesetzt werden soll. Der Idsteiner Uhr- und Büchsenmacher Philipp! wird durch Anordnung vom 23. Febr. 1786 vom Amt beauftragt, sich die Walsdorfer Uhr zusammen mit dem Schultheißen und dem Lehrer anzusehen und schriftlichen Bericht über ihren Zustand zu erstatten.
Philippi kommt zu dem Ergebnis, daß die Uhr „nach den jetzigen Umständen … ohnmöglich recht und gut gehen kann, weil alles laufende Triebwerk und die Büchsen ausgelaufen sind.“ Darüber hinaus weist er auf eine Reihe anderer Punkte hin, die zu beachten wären. Das Gehwerk müßte erweitert werden, damit sie nicht alle Tage zweimal aufgezogen werden müsse, sondern 24 Stunden laufe. Kinder dürften nicht mit dem Aufziehen und Stellen der Uhr betraut werden. Sie müsse deswegen mit einem Gehäuse zugemacht werden, damit nicht jeder Zugang habe. Auch der Platz unten im Turm, wo jeden Tag die Glocken geläutet würden, sei ungünstig, weil dadurch die Uhr zu stark verstaube. Eine gründliche Reparatur der Uhr würde nach seiner Schätzung etwa Gulden kosten, teilte er als Ergebnis seiner Besichtigung der Walsdorfer Kirchturmuhr dem Amt mit.

Schultheiß Ochs wird zum 7. März nach Idstein bestellt, da er mit dem Uhrmacher Philippi einen Vertrag über die Reparatur der Kirchturmuhr schließen solle, da nach seinem, des Schultheißen Urteil, der Walsdorfer Büchsenmacher Kilian der Sache nicht kundig sei. Der Schultheiß lehnte es aber ab, in dieser Sache etwas ohne die Gemeinde zu tun, zumal nach seiner Ansicht auch darüber nachgedacht werden solle, ob nicht besser eine ganz neue Uhr anzuschaffen wäre. Tatsächlich wird dem Schultheißen freigestellt, „der Gemeinde Walsdorf die nöthige Proposition (Vorschlag) zu thun, und kann es gleich gelten, ob die gegenwärtige Uhr auf eine dauerhafte Weise wieder repariert oder an deren Stelle eine ganz neue angeschafft werde, sofern nur eine gute Uhr angeschafft wird.“ Innerhalb von 4 Wochen soll der Schultheiß an das Amt berichten.

Schon 16 Tage später legte er dem Amt anstelle eine Berichtes einen Vertrag mit dem Uhrmacher J. Adam Rayff von Bremberg im Amt Nassau über die Lieferung einer neuen Uhr zu Genehmigung vor. Sie soll 90 Reichsthaler kosten und neben den vollen und halben Stunden auch die Viertelstunden angeben. Die Walsdorfer wollen die alte Uhr auf ihre Kosten nach Bremberg fahren und die neue dort abholen.
Einen Tag später, am 24. März, entscheidet das Amt aber, „daß dieser Accord nicht ratifiziert werden könne.“ Dem Schultheißen wird „sein allzu voreiliges Verhalten ernstlich verwiesen“ und aufgegeben, „binnen 8 Tagen ein obrigkeitliches glaubhaftes Attest von dem Rayff beybringen zu lassen, wo derselbe seß- und wohnhaft sey und womit er sich hauptsächlich ernähre, worinnen dessen Vermögen bestehe?, daß und wo er die Uhrmacherey förmlich erlernt habe?“

Schon am 25. März – und das alles ohne Auto, Telefon und Schreibmaschine – kann Rayff das geforderte Attest des Amtes Nassau vorlegen. Ihm wird bescheinigt, daß er sich „seit dem Ende des letzen Schlesischen oder 7jährigen Krieges (1763) in Bremberg … aufhalte und allda sesshaft sei, sich nebst seinem Sohn, welcher die Uhrmacherei in Neuwied erlernt, von nichts anders als von dieser Profession ernähre, in ganz gutem Vermögensstand stehe und an Haus und Güthern wenigstens 500 Gulden besitze – auch seit seines hiesigen Aufenthaltes jederzeit einen unbeschoftenen Lebenswandel geführt habe …“

Nach dieser positiven Auskunft bleibt dem Amte nicht anderes übrig, als den Vertrag, wenn auch mit einer Auflage, zu genehmigen, und zwar wird dem Uhrmacher Rayff aufgegeben, eine Caution von 50 Thalern zu stellen. J. Adam Rayff überstellt auf drei Jahre zur Sicherheit eine Wiese von 50 Ruthen, deren Wert auf 200 Gulden geschätzt wird.

Mit dieser Notiz schließt die Akte, und man darf annehmen, daß Adam Rayff die Walsdorfer Kirchenuhr 1786 gebaut hat.

Quelle:
HStA Wiesbaden, Abt. 133 / Walsdorf 48

Helmuth Leichtfuß

Aus der Fotosammlung

Wir möchten den Bürgerbriefen jeweils ein Bild mit Beschreibung aus unserer stattlichen und interessanten Foto-Sammlung beifügen, die immer mehr an historischem Wert gewinnt. Beginnen wollen wir mit einem Foto aus der Mappe „Dorfbewohner bei der Arbeit“ aus dem Jahr 1934.

Wir sehen (leider nicht! Da das Bild hier zu schlecht wiedergegeben wurde) Karl Hohl I. (1871-1950) aus der Taunusstraße. Die Taunusstraße läuft übrigens auch heute noch bei den Einheimischen unter dem alten Namen Lahmekaut = Lehmkaut : Grube aus der Lehm gegraben wurde. Herr Hohl war Holzdrechsler und Unternehmer eines 6-Mann-Betriebes. In seiner Werkstätte mit mehreren Drehbänken drechselte man feine Holzwaren verschiedener Art. Es wurden Holzknöpfe, Spielzeug, (besonders gut laufende!) Jo-Jo’s, Holzverzierungen für feine Möbelstücke, gedrechselte Stuhlbeine, Faß-Abfüllhähne, Löffel u.dgl. hergestellt. Die Aufträge kamen zum Teil von weit her, besonders aber aus dem Rheinland. Kleine Mengen Holzwaren, abgefüllt in Säcke, transportierte Karl Hohl mit seinem Hundegespann nach Camberg, seinem Versand-Bahnhof. Oft sah man seine gut gehaltene Hündin Senta mit ihm und seinem Wägelchen raschen Schrittes die noch wenig befahrene Chaussee entlanglaufen. Es war ein billiges und umweltfreundliches Gefährt.

Zu damaliger Zeit bedienten sich die Camberger Metzger derselben Hundegespan­ne, wenn sie zum wöchentlichen Tierkauf zu den Walsdorfer Bauern kamen. Ein Kalb oder ein Schwein konnte mit diesen Kleintransportern rasch befördert werden. Die Walsdorfer erinnern sich an die Metzger, bzw. Metzgereien Gläsner Peter, Hollingshaus, Preuß, Schmitt und Schütz, die teilweise noch heute in der Nachfolge bestehen.

Auf dem Bild sieht man ferner die noch unbefestigte und nicht kanalisierte Bruderbergstraße und die Ecke zur Bergstraße. Der Bruderberg ist umsäumt von Holzstößen. Die Walsdorfer hatten für ihr Brennholz in der engen, geschlossen Bauweise wenig Platz und mußten vor den Toren einen Holzplatz suchen.

Hat sich seitdem in vieler Hinsicht nicht sehr viel verändert?

Amanda Grabosch

MGV staatsgefährdend?

Zu den Anfängen des Walsdorfer Vereinslebens

Nachdem in vorigen Jahre das 150jährige Bestehen des MGV Germania 1838 Walsdorf gefeiert wurde, ist man doch erstaunt, wenn man im Staatsarchiv einen Brief des Walsdorfer Bürgermeisters Jeckel vom 25.7.1855 findet, in dem er dem Herzoglichen Amt in Idstein mitteilt, „daß in Walsdorf bloß nur eine Musik Bande ist, welche jetzt aus sieben Mann besteht und nur auf Verdienst spielen, und ihre Statuten liegen anbei. Kein Vorstandsmitglied ist nicht mehr dabei. Sonstige Vereine haben wir in Walsdorf keine mehr.“

Da es sich bei der „Musik Bande“ um eine Instrumentalgruppe handelte, gab es also 1855 keinen MGV in Walsdorf. Wie sieht es dann mit dem Gründungsdatum und den Jubiläen aus? Um es vorweg zu sagen, es bleibt alles beim alten. Dieser Brief ist ein Beleg dafür, daß die Anfangsjahrzehnte des MGV aus politischen Gründen sehr schwierig waren. Ähnlich wie bei anderen Vereinen in den Nachbarorten benötigte er eine lange Zeit, bis seine Existenz endgültig gesichert war.

Dieser Bericht war nämlich nicht aus statistischen Gründen vom Amt angefordert worden, sondern den Behörden ging es um eine Übersicht über mögliche politische Aktivitäten. Der Name „Germania“ und Äußerungen des Gründers, Lehrer August Wald, zeigen, daß der Männergesangverein nicht nur ein Singverein war, sondern hinter ihm auch politische Ideen standen, die sich in der Revolution von 1848 kurz verwirklichen konnten.

Solche Vereine waren der Herzoglichen Regierung verdächtig und wurden allerorts überwacht. Freie Vereinsgründungen gab es noch nicht. Eine obrigkeitliche Genehmigung zur Vereinstätigkeit war notwendig und erfolgte für den MGV Walsdorf 1846. Als 1849 die Revolution gescheitert war und die alten Kräfte wieder zur Macht gekommen waren, begann die Kontrolle von neuem, da alle Gesangvereine der Regierung als Sammelbecken staatsgefährdender (für uns aber fortschrittlicher) Personen verdächtig waren.

Die Folge war, daß sich der Verein 1851 eine neue Satzung gab, wo es zu Anfang hieß, daß „sich der bisher bestandene Singverein neu organisiert“ hat. Für einige Jahre gab Dirigent Wald sein Amt auf. Es ist nun anzunehmen, daß zwar von der Satzung her durch die Auslassung politischer Aussagen eine Anpassung an die neue aber doch alte Zeit erfolgte, die Sänger aber ihren nationalen und demokratischen Ansichten treu blieben. Das führte dann wohl dazu, daß eine Vereinstätigkeit um 1855 wegen staatlicher Eingriffe nicht möglich war. 1858 trat der Chor unter Wald wieder auf – ganz unverdächtig beim Sylvester-Gottesdienst.

Walsdorf stand mit dieser Entwicklung nicht allein da. Auch in Idstein gab es nur noch einen Verein und zwar den Leseverein mit drei Mitgliedern. Vorher hatte es hier Gesang- und Turnvereine gegeben, die teils freiwillig, teils zwangsweise verschwunden waren. Camberg dagegen besaß noch einen Gesangverein.

Turnverein Walsdorf

Besonders den Turnvereinen galt die polizeiliche Überwachung. Der bisher älteste Beleg für einen Walsdorfer Sportverein stammt von 1847, als die Walsdorfer Turner zusammen mit 13 anderen Vereinen das 4. Feldbergfest besuchten, wo 2.500-3.000 Menschen zusammen kamen. Das Turnfest wurde polizeilich überwacht, aber die Turner hielten sich mit politischen Reden stark zurück. Die Homburger stifteten einen Ehrenpreis, einen Kristallbecher, mit der Inschrift „Ehrengabe der Homburger Turngemeinde zum vierten Feldbergfest 1847“. Er wurde dem Walsdorfer Lehrer Jung zugesprochen. Der Grund bleibt noch unklar.

Der vielleicht vor 1846 gegründete Turnverein existierte nur bis 1852. Das war die Zeit, als auch der MGV seine Tätigkeit einstellte. Damals verordnete die Herzogliche Ministerialabteilung des Inneren:
„Da die gemachten Erfahrungen keinen Zweifel darüber zulassen, daß die Turnvereine, auch wenn in ihren Statuten nichts davon enthalten ist, stets und allerorten staatsgefährliche politische Zwecke verfolgen und sowohl untereinander wie mit anderen die Organisation des Aufruhrs bezweckenden Vereinen in Verbindungen stehen, endlich auch ihr dermaliges anscheinend ruhiges Verhalten keine Garantie dafür abgibt, daß sie nicht bei der nächsten politischen Aufregung derselben ihre Unterstützung und Hilfe zuwenden, so beauftragen wir Herzogl. Kreisamt, alle in dessen Bezirk bestehenden Turnvereine aufzulösen und nicht zu gestatten, daß sich neue bilden.“

Das Kreisamt sorgte für den sofortigen Vollzug in Walsdorf, Camberg, Idstein, Würges und an anderen Orten. Der Camberger Bürgermeister meldete schon 3 Wochen früher das Gerücht, der TV habe sich mit dem MGV vereinigt, konnte aber über eine politische Richtung der Sänger nichts melden. Hier können wir erkennen, wer mit den Gesangvereinen geistig verwandt war und daher mit ihnen in Verbindung stand.
Den Sängern wurde mit gleichem Datum die Existenz erschwert. Lehrlinge durften zwar weiterhin Mitgliedersein, nur war ihnen der Besuch der Wirtshäuser verboten. Wo sollte dann geprobt werden?

Instrumentalmusikverein Walsdorf

Der anfangs genannte Brief von 1855 bringt uns Nachrichten über einen anderen, bisher nicht bekannten Verein in Walsdorf. Es ist der bisher erste Hinweis auf ein Orchester in unserem Ort. Beigelgt sind nämlich die „Statuten des Instrumental Musik Verein zu Walsdorf“. Gegründet wurde er am 22.2.1850 von elf Männern.

Über die Ziele sagt §1 folgendes: „Der Zweck dieses Vereins ist vorläufig, sich musikalisch auszubilden, dann aber auch bei vorkommenden Gelegenheiten, wo Instrumentalmusik wünschenswert und zweckmäßig ist, im Orte selbst das dazu nötige Personal zu besitzen“.

Für den nicht geringen Betrag von 120 Gulden, die geliehen wurden, kaufte man nicht näher beschriebene Instrumente, die Vereinseigentum wurden. Die Statuten regelten sehr genau die Rückzahlungsmodalitäten während 3 Jahren.

Die Musikkenntnisse scheinen gering gewesen zu sein; denn die Mitglieder verpflichteten einen Musiklehrer für 3 Stunden Unterricht pro Woche. Nicht nur in finanziellen Dingen handelten sie nach ihrem Motto „Einer für alle, alle für einen“, sondern auch beim Musizieren sahen sie ihre gegenseitige Abhängigkeit. Sie legten daher fest: „§10 Es wird jedem Mitglied zur Pflicht gemacht, sich eines untadelhaften Betragens zu befleißigen und den größten Fleiß auf die Übungen zu verwenden sowohl in der Unterrichtsstunde als auch zu Hause bei der Privatübung. Wen der Musiklehrer saumselig oder nachlässig findet, der muß es sich gefallen lassen, das erste Mal mit einem Verweis, das zweite Male mit 2 Kreuzern bestraft wird.“

Einen Vorstand gab es nicht, nur einen Kassierer. Nach 5 Jahren waren nur noch 7 Musiker übrig, die aber inzwischen ihre Instrumente so beherrschten, daß sie auf Veranstaltungen spielen konnten. Das weitere Schicksal dieser Gruppe ist noch unklar.

Vereinigungsfreiheit

Der Weg zur freien Vereinsbildung war lang und schwierig. Vor 140 Jahren scheiterte die Paulskirchenversammlung; was das Ende dieses nur kurz bestandenen Rechts bedeutete. Vor 70 Jahren wurde es Bestandteil der Weimarer Verfassung, die 1933 ihr Ende fand. Seit 40 Jahren heißt es in unserem Grundgesetz: „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“ Zur Vorgeschichte hat ein ganz klein wenig auch der MGV Walsdorf beigetragen.

Quellen und Literatur:
HStAW 229/1270; 211/7985.
Hans Langkopf, Die Homburger Turngemeinde (1932,1936).
Helmuth Leichtfuß in Festschrift MGV Walsdorf 1988.

Gerhard Buck

Der Wiederaufbau der Kirche nach dem 30jährigen Krieg

In dem 30 Jahre dauernden Krieg waren auch die Menschen in Walsdorf samt ihrem Besitz an Gebäuden, Geld, Vieh und Vorräten arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Besonders schlimm erging es ihnen 1627/28, 1634 und 1644 oder 45. (Vergl. im einzelnen: Deißmann-Buck: Geschichte des Benediktinerklosters und Freifleckens Walsdorf, S. 143-165). Noch Jahre nach dem Krieg waren die Folgen deutlich spürbar. So wird am Ende der Kirchenrechnung des Jahres 1650 bei den Einnahmen, die aus Zinsen für ausgeliehenes Geld fällig gewesen wären, vermerkt, daß sich die Schuldner „wegen bös verwichener Zeit gegen Herrn Superintendenten sehr beklagt undt umb Nachlaß gebeten und erbieten, uffs Jahr 1652 ihr Gebühr abzustatten. Als ist vom Herrn Superintendenten ihnen willfahrt worden.“ 22 Gulden, 12 Albus und 6 Pfennig wären fällig gewesen. Lediglich Caspar Müller zahlte einen Gulden. Auch 1651 gingen von den fälligen Zinsen nur 4 f und 2 Pf ein. „Das übrige ist vom Herrn Superintendenten umb vielfältiger bitt willen bis uff s Jhar 52 nachgelassen worden.“

Ein weiteres Zeichen für die Armut der Leute ist darin zu sehen, daß man erst vom 11. Sonntag nach Trinitatis an wieder anfing, „das Säcklein umbzutragen, da es sonsten verblieben“ war.

In den letzten Kriegsjahren war, wie im letzten Bürgerbrief berichtet wurde, über die Hälfte des Fleckens, „an die 173 Gebäw… (Gebäude) abgebrand …, nicht allein alle gemeinen Bäwe als Pfarr-, Schul- und Rathaus, sondern auch unsere Kirch und Gotteshaus.“

(Das genaue Datum läßt sich im Augenblick nicht festlegen; Deißmann nennt in seiner Chronik auf S. 144 den Oktober 1644. Dagegen findet sich in einer Eingabe des Pfarrers, Schultheißen und der ganzen Gemeinde vom Anfang des Jahres 1652 als Zeitangabe: „Vor ohnegefähr 6 Jahren.“)

Wo und unter welchen Bedingungen nach dem Amtsantritt des Pfarrers Henkel am Sonntag Exaudi (6. Sonntag nach Ostern) 1647 Gottesdienst gehalten wurde, ist nicht bekannt. 1650 finden wir in der Kirchenrechnung einen Posten, daß für 6 Gulden und 3 Albus die Klosterkirche mit den notwendigen Stühlen und Bänken ausgestattet wurde und daß, da „kein Vorrat an Geld im Kasten gewesen, … die gemeindt durch den Bürgermeister“ (= Gemeinderechner) eine Zuschuß von 3 f und 23 Alb gegeben hat. Mindestens bis 1658 hat die Gemeinde die Klosterkirche benutzt, wie aus den Kirchenrechnungen hervorgeht.

Verträge mit Handwerkern

Obwohl die Gemeinde in den ehemaligen Klostergebäuden für ihre Gottesdienste eine notdürftige Bleibe gefunden hatte, sollte „uff Befehl hoher geist- und weltlicher Obrigkeit, auch erheischender Nothdurft wegen“ die Kirche doch bald wieder aufgebaut werden. Am 29. Oktober 1652 schlossen für die Gemeinde der Pfarrer Georg Christian Rüger, der Schultheiß Philipp Mey, die Gerichtspersonen Johannes Ochs, Philipp Seyberth, Jacob Kolb und Hans Peter Ullius und die beiden Kastenmeister(Kirchenrechner) Philipp Hofmann und Philipp Weißwek- Kolb und Hofmann sind nicht Vorfahren der jetzt hier ansässigen Familien – mit Bestätigung des Superintendenten von Idstein einen Vertrag mit den beiden Zimmermeistern Michael Hertzog und Peter Götz von Idstein über den Aufbau des Chors und der Sakristei. „28 Reichsthalter an geldt, Drey achtel Korn und anderthalb ohmen bier“ und freie Wohnung während der Arbeit sollten sie als Entgelt für ihre Arbeit haben. Beim Verdingen der Arbeit und nachdem das Dach des Chores aufgeschlagen war, wurden für 6 f und 12 Alb Wein und Bier vertrunken. Auch bei der Vergabe der Dachdeckerarbeiten und dem Auftrag für den Glockengießer wurde jeweils ein zünftiger Umtrunk getan.

Die Dachdecker oder Leyendecker, wie sie in der Kirchenrechnung genannt werden, erhielten für ihre Arbeit bei 2 Zahlungsterminen 10 bzw. 15 Reichsthaler (rund 47 Gulden). 150 „Bort“ zur Verschalung und über 40.000 Nägel für etwas über 19 Reichsthaler wurden gebraucht.
(Fortsetzung folgt)

Helmuth Leichtfuß

Verantwortlich:
G. Buck