Aus dem Gemeindeleben Im 17. Jahrhundert (Teil 3)
Das Dorf im 30jährigen Krieg
Wie in fast allen Teilen des Hl. Römischen Reiches haben im 30jährigen Krieg auch in Nassau katholische und evangelische Heere des Kaisers und anderer deutscher Fürsten, der Spanier, Schweden und Franzosen schlimme Zerstörungen und Verwüstungen angerichtet. Wenn man das 7. Kapitel der Geschichte des Benediktinerklosters und des Freifleckens Walsdorf von Adolf Deißmann liest, in dem er die Kriegseinwirkungen auf das Kloster und unser Dorf beschreibt, kann man sich ein ungefähres Bild von der ganzen Schrecklichkeit des damaligen Krieges machen.
Die Katastrophenjahre 1634 bis 1639
Deißmanns Darstellung soll im folgenden aus Quellen ergänzt bzw. präzisiert werden, die ihm nicht zur Verfügung standen oder die er nicht benutzte. Dies gilt insbesondere für die Ereignisse im Jahre 1634; denn er beschränkt sich bei der Darstellung der Geschehnisse im Herbst 1634 ganz auf das Kloster. Über die verzweifelte Lage im Kloster schreibt er auf S. 156 f: „Nach der Schlacht bei Nördlingen rückten die Spanier dem Rhein zu, um nach den Niederlanden zu gehen und plünderten auf dem Wege ganz Nassau. Auch unser Walsdorf wurde schrecklich mitgenommen. Ein Notschrei aus jener Plünderung tönt an unser Ohr. Es ist ein Brief der Äbtissin Anna Erica von Liebenstein, die unter dem 18. Oktober 1634 an den Grafen Johann von Nassau-Saarbrücken schreibt, daß das Kloster durch den Spanischen Cardinal Marsch geplündert und fast ganz zu Grunde gerichtet worden sei. Sie wisse nicht, wo aus noch ein und wie sie sich in Zukunft mit ihren Conventualinnen vor der Hungersnot bewahren solle. Wenn ihr nicht gnädige Unterstützung geboten werde, so müsse sie den Bettelstab zur Hand nehmen. Der Graf möge ihnen aus dem Kloster KIarenthal etwas von Rindvieh und Schweinen zukommen lassen oder nur eine Zeitlang leihen, damit sie wieder einen Anfang in ihrer Haushaltung machen und sich der Hungersnot erwehren könnten. „Denn ich in höchster Wahrheit nicht einen Löffel voll Butter noch ein Pfund Fleisch habe, auch habe ich die Geldmittel nicht, daß ich etwas zur Notdurft kaufen könne, so sehr bin ich beraubt und verarmt, habe aber nächst Gott zu Ew. Gnaden meine äußerste Zuflucht, die werden uns die oben angedeuteten Mittel gnädig verhelfen.“
Die Folgen des spanischen Überfalls müssen aber auch für den Flecken und seine Bewohner im wahrsten Sinne des Wortes verheerend gewesen sein. Bestätigt wird diese Vermutung nicht nur durch die Entwicklung der Bürgerschaft seit 1634, sondern auch durch den Vorspann zu einer Bürgerliste von 1639, wo zu lesen ist, daß die Bürger „durch das verderbliche Kriegswesen aus dem Vaterland gehen müssen und eine Zeitlang verstreut im Elend“ (= Fremde) gewesen sind.
Zwar hatten die Walsdorfer schon jahrelang hohe Kriegskosten bezahlen müssen – auf Lichtmeß 1631 wurde z.B. eine Rechnung über die Summe von 29607 Gulden an die Kanzlei in Idstein gegeben – die Verluste unter der Bevölkerung durch Krieg und eingeschleppte Seuchen waren bis dahin aber noch nicht dramatisch. Aus Listen aus den Jahren 1622, 1628 und 1630 wissen wir, daß in den genannten Jahren 71 bzw. 69 und 61 Bürger mit ihren Familien im Ort wohnten.
Anfang 1634 lebten noch mindestens 47 Bürger mit ihren Familien im Flecken Ganz genau ist die Zahl nicht zu ermitteln, denn für das Jahr 1634 gibt es keine Schätzungsliste oder dergleichen. Bei der Zusammenstellung der Bewohner mußte ich mich auf Namensangaben in den Gemeinderechnungen und in dem Gerichtsbuch für das Jahr 1634 stützen. Sehr wahrscheinlich lag die Zahl aber noch etwas höher.
Die nächste Bürgerliste vom Herbst 1639 verzeichnet aber nur noch 12 Bürger aus der Zeit vor 1634. Dazu kommen noch zwei, die erst nach 1634 von auswärts nach Walsdorf gekommen waren, Adam Riebenstein 1636 von Reifenberg und Claß Pletz 1639 von Steinfischbach.
Es besteht kein Zweifel, daß der verheerende Rückgang der Bevölkerung Ende 1634/35 erfolgte. Dafür sprechen die Tatsache, daß 1635 im Gerichtsbuch nur ganz knappe und von 1636 – 1639 gar keine Eintragungen vorgenommen wurden, die oben zitierte Quelle, nach der die Bürger eine Zeitlang verstreut waren, und ein Hinweis bei der Neuaufnahme von zwei Bürgern im Jahre 1639, wo es heißt, „in Anno 1639 ist die Gemein zum erstenmal wieder zusammenkommen, den 23. September“. (S. auch den folgenden Artikel: Das verlassene Dorf)
1639 bestand die Bürgerschaft aus den alten Walsdorfern Schultheiß Philipp Mey, Johann Ochs, Philipp Seyberth, Johann Diel (Thiel), Henrich vom Stein, Johannes Sauer, Caspar Müller, Wellem Weylandt, Balthasar Scheurer, Enders Held, Jacob Kolb, Johannes Kolb und den 1636 bzw. 1639 hinzugekommenen Adam Riebenstein und Claß Pletz. Was aus den übrigen Bürgern und ihren Angehörigen wurde, die bis 1634 in Walsdorf wohnten, läßt sich nur teilweise aufklären. Von einigen erfahren wir aus einer Urkunde vom Jahre 1657, in der Personen verzeichnet sind, die in Walsdorf begütert waren, aber auswärts wohnten. Diese sollten zur Tilgung der Gemeindeschulden und zum Wiederaufbau der Kirche herangezogen werden. Es werden erwähnt: Philipp Zeigers Ww zu Limburg und Johann Neurodts Erben zu Camberg und Kröftel, außerdem Hans Bocher von Dreißberg und Johann Conrad.
Auch die Angaben im Heiratsregister können in drei Fällen weiterhelfen. 1649 heiratete die Tochter des gewesenen Bürgers Christian Olp den Bäcker Hans Peter Ullius aus Kettenbach. Margarethe Wagner, die nach- gelassene Tochter des Enders Wagner, heiratet 1652 den Kiosterhofmann Andreas Kahleborn. Schließlich geht Anna Maria Sinkel, eine Bürgerstochter, deren Vater Johann Sinkel 1634 zum letztenmal erwähnt wird, im Jahre 1654 mit Daniel Gell die Ehe ein. Jacob Scherer ist 1650 wieder in Walsdorf und bleibt dort bis zu seinem Tode im Jahre 1670. Woher er zurückkam, wird nicht angegeben. Auch Philipp Bierbaum, der 1628 als Walsdorfer Bürger und Müller von Würges aufgeführt ist, hat überlebt und wird im Zusammenhang mit bestehenden Schulden 1649 im Gerichtsbuch erwähnt.
Keine Spur konnte ich nach 1648 mehr finden von Daniel und Willem Becker, Adam Herdtis, Martin Höltzer, Velten Müller, Ebert und Johann Schwob, Samuel und Jacob vom Stein, Daniel Wagner, Johannes Wassum, Johannes und Gerhard Zeiger und Jacob Zentz.
Weitere Kriegsnot in Walsdorf seit 1644
Gegen Ende des Krieges hatte der Flecken noch mehrmals schwer zu leiden. Was sich damals ereignete, erfahren wir im wesentlichen aus drei Quellen. Es handelt sich um die undatierte Bittschrift der „Verbrannten und Verderbten Unterthanen, Schultheiß, Bürgermeister und sämmtliche Bürger des Fleckens Walstroff“ an den Grafen Johannes von Nassau-Idstein nach dessen Rückkehr aus dem Exil im Dezember 1646, um die ebenfalls undatierte Bittschrift von Pfarrer, Schultheiß und der ganzen Gemeinde Walsdorf an den Grafen um ein Beglaubigungsschreiben für die in Aussicht genommenen Bürger, die in den vornehmsten Reichs- und Handelsstätten eine Beisteuer für den Wiederaufbau der Kirche einsammeln sollten, und die gräfliche Gewährung dieser Bitte vom 6. März 1652. Da es sich um zwei undatierte Briefe handelt und in ihnen nur um unbestimmte Zeitangaben wie vor zwei Jahren, vor einem Jahr, in diesem Sommer oder vor „ohngefähr 6 Jahren“, läßt sich der genaue Zeitpunkt der Ereignisse nur in Verbindung mit den Angaben in E.F. Kellers Buch „Die Drangsale des Nassauischen Volkes … in den Zeiten des dreißigjährigen Krieges ..:‘ festmachen. Danach hat, wie auch Deißmann richtig folgert, im Jahre 1644 eine Feuersbrunst, die von bayrischen Soldaten verursacht wurde, einen Großteil des Fleckens in Asche gelegt. In den Briefen heißt es dazu: „133 Gebäu, Haus und Scheuern sind abgebrannt worden, daß nun erbärmlicher Weise sich unserer theils in kleinen noch übrigen Häusern zu zwei und drei Paaren, etliche in dem Kloster in kleinen verfallenen Gemachen, die andern in den Kellern sich aufgehalten und ihre Dachung mittleidlich suchen müssen.“ Auch „alle gemeine Bäue als PfarrSchul- und Rhathaus, auch unsere Kirch und Gotteshaus sind gantz eingeäschert“. Was die genannte Zahl der abgebrannten Gebäude angeht, so waren es nach der ersten Bittschrift 133, nach der zweiten über die Hälfte unseres Fleckens und nach dem Beglaubigungsschreiben 173. Die zahlenmäßige Abweichung läßt sich nicht aufklären.
Auch im folgenden Jahr, also 1645, wurden die Walsdorfer in Mitleidenschaft gezogen. Es heißt in der Bittschrift: „Als wir vor einem Jahr wegen Ankunft Hessischer Armee mit unserm Vieh und habenden Nahrung, Weib und Kind nach Idstein ausflohen und uns salvieren (retten) wollen, sind wir von der Vortruppe zwischen Walsdorf und Idstein aufgegriffen, mehrenteils ganz und … bis auf die Hemder ausgezogen, aller unser Mobilien beraubt worden und das Vieh zu Camberg mit schwerem Geld und großen Kosten wieder einlösen und gleichsam erkaufen müssen.“
Außerdem mußte der Flecken im Januar und August des Jahres 1646 Plünderungen über sich ergehen lassen. Über die Plünderung im Sommer wird folgendes berichtet: „Als diesen Sommer Chur-Bayrische und Kaiserliche Armeen bei Limburg an der Lahn gelegen, sind sie in unser Feld, Flecken und Scheuern gefallen, die Früchte Korn und Hafern mehrestheils ausgedroschen und die Fütterung uffgelladen und bei Camberg vorbei ins Lager geführt.“
So war am Ende des Krieges 1648 die Bürgerschaft nicht nur auf die geringe Zahl von 22 zusammengeschmolzen, sondern auch das Dorf und die Wirtschaft waren weitgehend ruiniert.
Quellen:
Walsdorfer Urkundenbuch,
Walsdorfer Gerichtsbuch 1601 -1654,
Walsdorfer Kirchenbuch Bd. 1,
HStAW 133 Walsdorf 48; 1148.
Helmuth Leichtfuß
Das verlasserte Dorf 1636 bis 1639
Die dunkelsten Jahre in Walsdorfs 1200jähriger Geschichte sind wahrscheinlich die zwischen 1636 und 1639 gewesen, als der Taunus die schlimmsten Jahre des 30jährigen Krieges erlebte. Es gab fast keine Lebensgrundlagen mehr, und selbst hinter den Fleckenmauern fand man keinen Schutz mehr, so daß alle Walsdorfer versuchten, irgendwo in der Nähe oder Ferne einen Unterschlupf zu finden. Nur durch Zufallsfunde läßt sich heute der Aufenthaltsort von einigen rekonstruieren.
Im Sommer 1636 verließ Schultheiß Philipp May seinen Flecken und zog zu seinem Vetter Adam May nach Niederhadamar. Als er im Herbst dessen Garten umgrub, stand unvermutet Margarethe Naurath oder auch Neuroth am Zaun. An die Unterhaltung erinnerte er sich 21 Jahre später, „als wenn es heute geschehen sei“. Die Frau lehnte sich auf den Zaun und sprach zu ihm: „Ach lieber Schultheiß, kommen wir hier zusammen! Was macht ihr hier?“ May antwortete: „Ja, Gott erbarm es, daß wir hier zusammenkommen.“ Aber ohne sich um die ihm unbekannten Lebensumstände seiner Nachbarin zu kümmern, sprach er sofort ihre Schulden an. „Ja, lieber Schultheiß, ich weiß es wohl. Aber ich kann euch jetzt nicht bezahlen. Ich habe kein Geld.“ „Das kann ich mir wohl denken. Doch wir müssen uns wieder trennen und wissen auch nicht, ob oder wann wir wieder zusammenkommen. Du hast noch Güter zu Hause, von denen du mir etwas zur Sicherheit versetzen kannst, damit heute oder morgen meine Kinder sie statt Bezahlung haben können.“ Sie einigten sich auf die Verpfändung eines Ackers und einer Wiese. „Wenn aber meine Erben dir das Geld geben, wirst du das Land zurückgeben.“ Nach einigen Tagen in Hadamar zog sie weiter. Ihre Todesahnung erfüllte sich. Kurze Zeit später erfuhr May, daß sie im Westerwald gestorben war. (1)
Margarethe Naurath hatte Walsdorf nach dem ersten Camberger Markt, der gehalten wurde, wenn das Korn ab war, verlassen. Ein Zeuge hatte sie dort noch gesehen und erinnerte sich, daß Walsdorf damals „noch nicht abgebrannt“ war. „Auf dem letzten Camberger Markt sei die Sage gekommen, daß die Margarethe tot wäre. Die Häuser waren noch zu Walsdorf gestanden.“ In Walsdorfs Nachbarschaft konnte das Leben also noch weitergehen. (2)
Auch in Steinfischbach wohnten in diesen Jahren noch Menschen. Von dort stammt Margarethe Nauraths Schwiegertochter. Diese war in diesem Herbst und Winter auch auf der Flucht, nur begleitet von ihrem Söhnlein und einer jungen Nachbarin. Ihr Mann Melchior Sinkel, ein Sohn M. Nauraths aus erster Ehe, war wahrscheinlich kurz vorher gestorben. Im Januar 1637 mußten die beiden Frauen das tote Kind alleine auf einen Kirchhof im Busecker Tal bei Gießen tragen und beerdigen (3). Damit kam ein Familienname zu einem Ende, der über sechs Jahrzehnte in Walsdorf zu finden gewesen war. Sinkels Witwe kehrte zurück und heiratete Balthasar Fritz in Kröftel. (4)
Außer dem Schultheißen verließ auch der Schulmeister den Flecken. Balthasar Scheurer, der erste Träger dieses Namens hier, war 1612 auf Wunsch der Gemeinde Walsdorf zum Lehrer ernannt worden. Er stammte aus Cramberg an der Lahn und hatte eine Walsdorfer Bürgerstochter geheiratet. (5) Ihn verschlug es weit fort „in Niederland“, womit auch das deutsche Gebiet am Unterlauf des Rheins gemeint sein kann. Da er und seine Familie überlebten, gibt es den Namen Scheurer noch heute in Walsdorf.
Nach dem Kriege wurde behauptet, mit dem Lehrer sei auch der Stifter des Schulhauses, Daniel Becker, in die Niederlande gezogen. 1635 hatten er und seine Frau Maria eines ihrer Häuser der Gemeinde als Schulhaus vermacht. (6) Die von B. Scheurer im Ausland verfaßte Urkunde über den Verkauf der Mühle zu Esch durch D. Becker wurde von den Erben als gefälscht zurückgewiesen, da Becker damals schon tot war. Mit den Beckers verschwand eine seit 1499 in Walsdorf nachweisbare Familie, an die außer der alten Schule noch der Beckersgraben erinnert.
In weiblicher Linie lebte sie aber weiter. Die 1628 geborene Anna Maria Becker überstand als Kind die schwere Zeit und heiratete Johann Andreas Hirtes (geb. 1613 in Oberauroff), der damit Besitzer der nach ihm benannten Mühle bei Esch wurde. (7) Beckersgraben und Hirtessenmühle gehören also familiär zusammen. Das frühere Namensrecht täuscht oft über das wahre Alter langansässiger Familien.
Quellen:
(1) HStAW 133 IX Amtsprotokoll 1657.
(2) ebd. 1655.
(3) ebd. 1654.
(4) ebd. 1655 – 1659: zu Naurath und Sinkel.
(5) In „1200 Jahre Walsdorf“ S. 28 muß es heißen Scherer, Johannes. HStAW 133 Xa, 5.
(6) Deißmann, Klostergeschichte S. 144 f,190 ist entsprechend zu ändern. HStAW 1148. f , s. Anm. 6. Wie Anm. l: 1658.
Gerhard Buck
Der große Brand von 1692
Dreimal mußten die Walsdorfer im 17. Jahrhundert ganz von vorne anfangen: 1639 nach der Rückkehr von der Flucht, 1644 nach dem ersten und 1692 nach dem zweiten großen Brand. Dieser vernichtete den Flecken so weitgehend, daß anschließend der Verlauf der Gassen und die Maße der Grundstücke neu festgelegt wurden. So entstand der heutige Ortsplan. Das Kloster verschwand, und die Untergasse wurde die gerade „Stracke Gasse“, wie sie im 19. Jahrhundert auch hieß.
Der Zustand vor dem Brand
Den Niedergang durch den 30jährigen Krieg hatte man am Ende des 17. Jahrhunderts einigermaßen überwunden. 1681 gab es 48 Häuser und 33 Scheunen. 10 Jahre später wurden 44 Familien steuerlich erfaßt. Unter steuerlichen Gesichtspunkten stellte ihr Besitz im Jahr vor dem Brand einen Wert von 20.038 Gulden dar, d.h. durchschnittlich hatte jeder 455 Gulden zu versteuern. Der Unterschied zwischen Reich und Arm war sehr groß. Über 1.000 Gulden besaßen 5 Personen (D. Seyberth 1.601, Ph. E. Ochs 1.261, Schultheiß B. Preußer 1.215, J. A. Hirthes 1.189, H. A. Sauer 1.024), weniger als 100 Gulden 4 Personen und 2 wurden mit 0 angesetzt.
Interessant ist ein Vergleich mit Idstein und dem ganzen Oberamt. Idsteins 71 Familien brachten es nur auf 15.798 Gulden, was einem Durchschnitt von 222 Gulden entspricht. Sie waren also knapp halb so reich wie die Walsdorfer und lagen erheblich unter dem Durchschnitt des Oberamts Idstein (319). Der höchste Betrag war 917 Gulden. 38 % lagen unter 100 Gulden. Der Besitzer des Killinger-Hauses brachte es nur auf 195.
In den Ämtern Idstein und Wehen (was etwa dem alten Untertaunuskreis östlich der Aar entspricht) lebten in 50 Orten 652 steuerpflichtige Familien, deren Besitz mit 228.083 Gulden angesetzt wurde (Durchschnitt 350). Walsdorf mit der zweitgrößten Einwohnerzahl und dem höchsten Steueraufkommen (8,8 %) war also für den Fürsten von erheblicher Bedeutung, was den abgebrannten Walsdorfern im folgenden Jahr sehr zugute kam. (1)
Ende der Klosterbauten
Neben den bürgerlichen Häusern prägten die klösterlichen Gebäude das Bild des Freifleckens. Doch sie hatten mit dem Verschwinden der Nonnen 1634 ihre Funktion verloren. Bis 1678 wurde der Wirtschaftsbetrieb, von gräflichen Beamten überwacht, fortgeführt. Als dann das Land in Erbpacht abgegeben worden war, verloren auch die restlichen Wirtschaftsgebäude ihre Aufgabe. 1691 besichtigte Fürst Georg August das ehemalige Kloster und stellte fest, daß „die Klosterplätze zu Walsdorf allerdings wüst liegen und die noch darauf stehenden wenigen Gebäude, falls selbige nicht bald repariert würden, gänzlich zerfallen, das Kloster aber so viel Mittel, solche zu reparieren, zur Zeit nicht, weniger denn so viele Gebäude vonnöten habe“. Er verfügte darauf den Verkauf des gesamten Klosterbezirks. (2)
In einem Gutachten wurde der ruinöse Zustand der verschiedenen Wirtschaftsgebäude bestätigt und der Wert von allem verbauten Holz mit nur 50 Gulden angesetzt. Daher würde „in wenig Zeit vollends alles übern Haufen fallen“. Ein Verkauf würde nicht nur dem Flecken, sondern auch dem Lande von großem Nutzen sein. (3)
Dieses Bestreben, durch Bereitstellung von Bauplätzen und Privatisierung von staatlichem Besitz den Aufschwung zu fördern, hatte eine Parallele in Idstein, wo gleichzeitig die Bebauung der Weiherwiese begann.
Der 11. September 1692
Diese Planungen zur Weiterentwicklung Walsdorfs unterbrach ein großer Brand, durch den am 16. Sonntag nach Trinitatis „fast der ganze Flecken abgebrannt ist“. Über die Ursache kann nichts gesagt werden, über das Ausmaß gibt es nur allgemeine Angaben wie diese nachträgliche Notiz in der Pfarrchronik (S. 5). Ähnlich heißt es im Dezember 1692 in einem Brief der Idsteiner Verwaltung, „daß bei neulich unvermutet zu Walsdorf entstandenem Brand selbiger Flecken bis auf etliche Häuser leider in die Asche gelegt wurde“. (4)
Wo diese wenigen Häuser stehen blieben, läßt sich mit Hilfe eines Häuserverzeichnisses von 1698 mit Angaben über alte und neue Häuser, der Akten der Verkaufsverhandlungen über die Wirtschaftsgebäude des Klosters und des heutigen Gassenverlaufs herausfinden. (5) Auffällig an Walsdorfs altem Ortskern ist der Gegensatz zwischen den engen und krummen Gassen bei der Kirche und den übrigen langen, geraden Gassen. Dieses Kirchenviertel, genannt „Eck“, wurde vom Brand verschont und unterlag nicht der anschließenden Neuplanung. So blieben die öffentlichen Wegeflächen gering, und Grundstücksteilungen führten zu einer immer dichteren Bebauung. Wahrscheinlich vernichtete das Feuer hier nur die nördlich (auf dem Plan rechts) der Kirche gelegenen Häuser. Das westlich anschließende Gebiet längs der Fleckenmauer war mit 6 Anwesen recht dünn bebaut und blieb verschont. Gleiches gilt für das Klosterbrauhaus am Ende der heutigen Knappen Gasse. Auf dem anschließenden Gelände zwischen der heutigen Gasse Am Obertor und der Ringmauer befanden sich bis zum Grundstück südöstlich (hier links) vom Hutturm weitere Wirtschaftsgebäude des Klosters, für die die Verkaufsverhandlungen ohne Störung durch den Brand fortgesetzt werden konnten.
Neben dieser Randbebauung längs der nördlichen und westlichen Ringmauer blieben auch einige Häuser an dem Obertor und der östlichen Mauer erhalten. Von den ersten 6 Häusern (Plan unten links) existieren 1698 noch 4 oder 5. Insgesamt gab es damals nur noch 16 alte Wohnhäuser.
Neue Gassen und Grundstücke
Fachwerk mit Strohdächern hatte den Flammen genügend Nahrung gegeben. So blieb nur eine Art Kranz von Häusern stehen, vor allem an der Seite, woher der Wind kam. Doch für Walsdorfs weitere Entwicklung war diese Vernichtung von Vorteil. Im Stil der damaligen Zeit konnte nun auf dieser Brandfläche ein rationaler Ortsplan verwirklicht werden, der das Leben sicherlich erleichterte.
Unter Leitung von Landhauptmann Joß erschien eine Kommission aus Idstein, und die Walsdorfer kauften für 5 Albus Kordeln, um die schönen graden Baulinien festzulegen. (Außer späteren Baukosten ist das die einzige Ausgabe in der Gemeinderechnung im Zusammenhang mit dem Brand!) (6) Das Ergebnis wurde in dem ältesten und bisher noch nicht veröffentlichten Plan von Walsdorf festgehalten. (7)
Als Grundstruktur wurde ein Trapez gewählt, in das parallel zur Untergasse noch zwei Gassen gelegt wurden. Die „Scheuernstraß nach der Kirchen zu“ = Blinde Gasse ist auf dem Plan eingezeichnet. Nicht recht deutlich ist dort die Klostergasse. Die Knappe Gasse wurde nicht in der idealen Form verwirklicht, wie sie hier erscheint.
Auf diese Weise reichten alle Grundstücke von Gasse zu Gasse bzw. zur Fleckenmauer. Auch in der Breite wurde auf Gleichmäßigkeit geachtet. Jedem Walsdorfer wurden 40 Schuh (ca. 12 m) von der fürstlichen Kommission zugemessen. Das führte jedoch nicht zu Gleichmacherei: wer vorher viel besaß, erhielt entsprechend weitere Grundstücke zugeteilt. (8) In welchem Umfang frühere Nachbarschaften bestehen blieben und auf alten Plätzen wieder aufgebaut wurden, kann wegen eines noch fehlenden Ortsplans für die Zeit vor dem Brand nicht genau gesagt werden. Zahlreiche Familien werden sich aber längs der Untergasse ungefähr an der alten Stelle wieder niedergelassen haben.
Über die Konstruktion der Häuser und vorbeugenden Brandschutz finden sich eigenartigerweise keine Vorschriften oder Hinweise. Als die Gemeinde von Schwierigkeiten bei der Ausführung des unteren Stockwerks in Stein spricht, wird das „zu eines jeden Disposition freigestellt“. (9)
Bei dieser Neuordnung wurde das Klostergelände wie schon vor dem Brand geplant für Hofreiten aufgeteilt, um Verluste bei der Neuaufteilung auszugleichen. Damit verschwand es nach 5 1/2 Jahrhunderten aus Walsdorfs Ortsplan. Nur das Konventsgebäude erinnerte noch an den Ursprung der Siedlung. Es wurde sofort als „Rat-, Back- und Schulhaus“ hergerichtet. Noch im Winter wurden dafür 23 Stämme im Gemeindewald geschlagen. Gleichzeitig wurden 70 an die Bürger verteilt. (10) Inwieweit das Schulhaus bei der Kirche, in dem auch später wieder unterrichtet wurde, beschädigt wurde, bleibt unklar.
Auch das Pfarrhaus war den Flammen wie 1644 zum Opfer gefallen. Nach beiden Bränden nahm man sich viel Zeit für den Neubau. Ab 1680 und ab 1734/35 wurde dem Pfarrer ein neues Pfarrhaus errichtet. In den Zwischenzeiten wohnten die Pfarrer im eigenen Haus oder zur Miete. Die Angabe „Pfarrer“ auf dem Plan bezieht sich auf das Privathaus von Pfarrer J. B. Rüger, dessen Vater und Vorgänger am Obertor Besitz gehabt hatte.
Finanzielles
Wie der vorhergehende fiel auch dieser Brand in eine Kriegszeit. 1688 – 1697 führte Ludwig XIV. den Pfälzischen Krieg gegen eine große europäische Koalition. Als Nachbar war das Fürstentum Nassau-Saarbrücken, wozu auch Walsdorf gehörte, ebenfalls betroffen. Im Sommer 1692 mußte daher unser Ort für schwedische Truppen in Wörsdorf 59 und für bayerische in Esch 30 Gulden bezahlen. Hinzu kamen bis zum Brand 600 weitere als „Schatzungsgelder“. D.h., daß in jedem Monat jeder Bürger für die durchziehenden oder einquartierten Soldaten Sondersteuern zu zahlen hatte. Zum Vergleich: die Gemeinde nahm im Brandjahr 225 Gulden ein und gab 193 aus, was etwas unter dem Durchschnitt war.
Um in dieser finanziell schwierigen Zeit den Wiederaufbau durchführen zu können, machte die Gemeinde Fürst Georg August Vorschläge, die er selbst – teilweise abgeändert – genehmigte. (9) Auf 6 Jahre wurden nach dem Vorbild der Weiherwiese in Idstein den „Brandbeschädigten“ alle Abgaben erlassen. Holz sollte auch aus dem Mainzischen zur Verfügung gestellt werden. 100 Malter Korn wollte man auf 2 – 3 Jahre vorstrecken, um damit im Stile der damaligen Zeit die Handwerker bezahlen zu können. Auch eine Spende durch „das Land“ über 1.000 Gulden und die Abtretung der Hälfte der Korneinnahmen des Klosters im Jahre 1693 wurden genehmigt.
Bei den Abgaben der Pächter des Klostergutes blieb die Verwaltung jedoch hart. Sie erließ zwar die Lieferung von 56 Malter Korn und auch des Hafers (woher sollten die Walsdorfer auch das Getreide bei einem Brand kurz nach der Ernte nehmen), bestand aber auf der Lieferung im November 1693 oder der Bezahlung: für das Korn 224 Gulden. (11)
Auch das Stift Limburg als Zehntherr kannte an dieser Stelle keine Rücksicht. Der Winter- und Sommerzehnt 1692 in Walsdorf hatte einen Wert von 750 Gulden, der aber durch den Brand „mehreren Teils verzehrt war“. Für 225 Gulden war noch Getreide im Flecken, d.h. wohl in der Zehntscheuer vor dem Obertor. Limburg bestand auf der Lieferung. (4)
Doch auch mit diesen Schwierigkeiten wurden die Walsdorfer fertig, so daß 6 Jahre später sich hier wieder 54 Hofreiten fanden, wovon knapp ein Drittel alt war. (12) 1714 gab es wegen der großzügigen Planung, aber auch wegen der durch Kriege gehemmten Entwicklung, noch 30 freie Bauplätze in Walsdorf. (8)
Quellen:
(1) Hess. Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden (= Wi) 133 VIIIc, 82 a.
(2) Wi 93/193 (1691).
(3) Wi 93/104.
(4) Wi 133 Walsdorf 49.
(5) Wi 93/116,193,194.133 Walsdorf 42.
(6) Gemeindearchiv Walsdorf (= Wa) Gemeinderechnung 1692 S. 367 v.
(7) Wi 93/194.
(8) Wi 133 Walsdorf 59 (1721).
(9) Wa Urkundenbuch S. 74 – 71
(10) Wa Gerichtsbuch 1693 S.101 v; Gemeinderechnung 169 S. 368.
(11) Wi 93210. (12) Wi 33 Walsdorf 42.
Gerhard Buck
Was sonst noch Im 17. Jahrhundert geschah
Vom Kaiser legitimiert
Die hohen Bevölkerungsverluste durch den 30jährigen Krieg wurden auch dadurch etwas ausgeglichen, daß von auswärts Leute nach Walsdorf heirateten. So stammten Adam Riebenstein aus Reifenberg und sein Schwiegersohn Matthes Lehmann, der erste Träger dieses Namens in Walsdorf, aus Schlesien. Doch nicht in jeder Beziehung war der Umzug nach Walsdorf für sie ein Neubeginn. Außer dem Herkunftsort war gelegentlich auch mehr über die Neubürger bekannt.
Das mußte eine von Riebensteins Töchtern eines Tages 1658 erfahren, als sie Wasser vom Brunnen geholt hatte und viele Leute auf der Gasse waren. Da wagte es doch tatsächlich die Tochter von Clas Pletz, der aus Steinfischbach zugezogen war, sie zu beschimpfen: „Du und dein Vater, ihr seid nicht so wie mein Vater. Dein Vater ist ein Hurenkind!“
Dem Mädchen war nicht bewußt, daß sein Vater mit dem letzten Wort sein ganzes Hab und Gut hätte verlieren können. Adam Riebenstein hatte nämlich von Kaiser Matthias (1612 – 1619) ein Dokument erhalten, durch welches seine uneheliche Geburt „legitimiert“ worden war und in dem jedem eine Strafe von 30 Mark lötigen Goldes angedroht wurde, der ihm seine Herkunft vorwerfen sollte. Diese über 7 kg Gold bzw. über 2000 Gulden stellten den Wert von mehreren Hofreiten mit Gütern in Walsdorf dar. Leider war jedoch im Krieg wie so vieles auch diese Urkunde verlorengegangen. So wandte sich A. Riebenstein mit nicht allzu großer Hoffnung an das Amt Idstein. Er bat, „ihn zu schützen, daß er nicht von jedermann geschmähet werde“, und forderte die Bestrafung des Mädchens. „Wenn die Reichskanzlei jetzt offen wäre, wollte er sehen, daß er wieder einen anderen Brief bekäme.“
Das Ende der Affäre ist nur teilweise überliefert. Schultheiß May mußte Vater Pletz und Tochter befehlen, „Riebenstein nicht zu schmähen“. Eine Gerichtsverhandlung in Idstein sollte noch folgen.
Quelle:
HStAW 133 IX Amtsprotokolle 1655 -1657.
Gerhard Buck
In eigener Sache: Foto-Arbeitskreis
Wer ist so freundlich, uns zur Vervollständigung der Foto-Sammlung Schulaufnahme-Bilder der Geburtsjahrgänge 1930, 1932, 1942, 1946 bis 1951 und von 1954 bis 1962 vorübergehend zum Kopieren zur Verfügung zu stellen?
Wir würden uns freuen, auf diesem Wege an die Bilder heranzukommen, um Lücken in unserer umfangreichen Sammlung mit Fotos dieser Art zu schließen, und danken im voraus.
Bitte melden bei A. Grabosch, Idsteiner Straße 27, Tel. 85 08.
Redaktion:
Gerhard Buck, Am Borngraben 24, Idstein-Walsdorf (verantwortlich)
Monika Kiesau (Verein)
Helmuth Leichtfuß (Geschichte)
Manfred Wetzel (Aktuelles)